PAZIFISTEN & ANTIMILITARISTINNEN AUS JÜDISCHEN FAMILIEN

Land für die Nachkommen Isaaks und Ismaels

Kulturzionistische Betrachtungen von Hans Kohn über ein „freundschaftliches Zusammenleben“ aus dem Nachkriegsjahr 1919 – Quellenlese Teil 5 zum Projekt „Pazifisten und Antimilitaristen aus jüdischen Familien“.

Ausgewählt von Peter Bürger.

„Zionismus“ ist in historischer Hinsicht alles andere als ein gleichförmiges Gebilde, was heute leider von unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Lagern allzu oft vergessen bzw. gezielt unterschlagen wird. 1919 verfasste der noch in russischer Kriegsgefangenschaft festsitzende, in Prag geborene Historiker Hans Kohn (1891-1971) die nachfolgend dokumentierten Ausführungen „Zur Araberfrage“ für Martins Bubers kulturzionistische Zeitschrift „Der Jude“.
Der später renommierte Nationalismusforscher glaubte als Zionist und Pazifist gewissermaßen an eine besondere Beauftragung bzw. Erwählung der Juden, die eben darin bestehe, dass das Judentum der „am Nationalismus“ krankenden Menschheit des ganzen Erdkreises zeigen solle, wie Menschen unter dem Vorzeichen des Friedens zusammenleben können: „Verantwortung vor der Menschheit. Bleiben wir ernst und klar und uns selber treu! Hüten wir uns vor jedem Fetischismus, hüten wir uns vor allem vor dem Fetischismus des nationalen Herrenvolkes!“ (s.u.)
Mehr als hundert Jahre später wird mancher diesen durch und durch projüdischen Text eines Juden heute womöglich unter Antisemitismusverdacht stellen, da er den Doktrinen einiger geschichtsvergessener Sichtweisen des „Nahost“-Konfliktes nicht entspricht.

Hans Kohns Ausführungen „Zur Araberfrage“ (1919)

„Bis vor dem Kriege [1914-1918] war uns Palästina das, was dem Kind sein liebstes Spielzeug; wir liebten es, wir sprachen immerzu davon und wollten mit ihm zusammen sein; aber wir haben seine Probleme, Ängste und Nöte nie so fürchterlich ernst genommen, denn es schien uns als reales jüdisches Palästina, als Erez Israel in so weiter Ferne, daß wir es nur liebkosten, ohne es in seiner wahren Natur zu erkennen. Heute sind wir Palästina gegenüber in einer völlig anderen Lage: als wären wir herangereift zum Mann und sähen all die schweren Probleme, die in Erez Israel schlummern oder oft schon gar laut rufen und unsere Verantwortung belasten. Ein solches Problem ist die Araberfrage. Man ist ihr vor dem Kriege meist ausgewichen, man weicht ihr noch heute aus und versucht statt dessen, die Fragenden und Zweifelnden mit offiziellen Sprüchlein und Erklärungen jüdischer und arabischer Führer abzuspeisen, die doch mit dem Wesen der Frage nichts zu tun haben und uns nicht einer objektiven Prüfung überheben.
Eine Tatsache steht fest und muß daher die Grundlage unseres Handelns bilden: Palästina ist heute, so unwillkommen uns das sein mag, tatsächlich ein arabisches Land. Fünf Sechstel der Bevölkerung, also die weitaus überwiegende Majorität, vielmehr als etwa im Russischen Reiche von 1914 die Großrussen, sind Araber. Die Vergangenheit des Landes, soweit sie ethnographisch und ökonomisch für die Gegenwart in Betracht kommt, ist arabisch. Die Sprache des Landes ist heute ein arabischer Volksdialekt, Sitte und Lebensart der Bewohner ist – soweit sie nicht durch europäischen, recht minderwertigen Import verdrängt worden ist – arabisch. Ringsum wohnen in Sprache und Sitte verwandte Araber, geographisch ist Palästina wohl für sich abgeschlossen, gehört aber als Ganzes orographisch [d. h. bezogen auf die Höhenstrukturen der Erdoberfläche, Anm.] und geologisch zum arabischen Syrien. So ist Palästina heute rechtlich und tatsächlich ein arabisches Land.“

[Probleme des Rückgriffs auf „historische Rechte“]

„Dem gegenüber verweist man auf die historischen Rechte des jüdischen Volkes. Hier sei von vornherein bemerkt, daß uns jede Verweisung auf historische Rechte immer und überall als unmöglich erscheint. Mit ‚historischen Rechten‘ kann man jedes Unrecht rechtfertigen; denn welches Unrecht wäre in den dunklen Tagen der Weltgeschichte nicht schon dagewesen, auf das sich dann jeder, der darauf zurückgreift, als auf sein ‚historisches Recht‘ berufen könnte. Mit solchen Begründungen können Fürsten und Könige von uns die Kopfsteuer verlangen, Städte uns in Ghetti sperren. Die Zeit ist weitergegangen, sie hat alles, was war, weggefegt und Neues gebaut. Das Geschichtliche wirkt in uns zwar weiter, aber, es gibt uns keine Rechte. Rechte gibt nur das Lebendige, Heutige, wenn in ihm auch längst äußerlich Gestorbenes nachwirkt. Die heutigen Araber haben uns das Land nicht durch Gewalt und nicht durch List weggenommen, selbst ihre Väter taten es nicht, sie bedrücken uns nicht und geben uns so nicht einmal das Pathos der Empörung und Revolte … ein historisches Recht auf Palästina haben wir in keiner Form. Haben wir dieses aber nicht, so haben wir doch nie verabsäumt, unser wirkliches Recht auf Palästina auszuüben. Seit der Vernichtung unserer Selbständigkeit durch die Römer haben wir niemals für längere Zeiträume aufgehört, das Land zu bewohnen; starke jüdische Kolonien haben dort gelebt, jüdischer Geist hat dort manche eigenartige Blüten getrieben. So war das Land immer nicht nur arabisch, sondern auch jüdisch, nicht von einem historischen Rechte aus betrachtet, sondern in lebender Gegenwart.
Was uns aber nach Palästina hinzieht und langsam aus dem vorwiegend arabischen Palästina ein Palästina der Araber und Juden und später ein Palästina der Juden und Araber machen wird – eine weitere Entwicklung kann niemand voraussehen –, ist unsere Liebe, in der sicherlich die Geschichte nachwirkt, zu diesem Lande und die Notwendigkeit unserer Zeit. Denn so, wie das Land heute ein arabisches Land ist, so besagt das durchaus nicht, daß es ein exklusives Eigentum der arabischen Nation wäre. Zu diesem exklusiven Sinne hat kein Volk Recht auf ein Land; das Land gehört denen, die es mit der Kraft ihrer Gehirne und Hände so fruchtbar machen, daß sie ihren Lebensunterhalt darin finden. Palästina, ein Gebiet von ca. 27.000 qkm ist für die heutige Bevölkerung von 700.000 Menschen zu groß; es ist sehr dünn besiedelt, eine Industrie, die eine große Zahl Arbeitender ernähren könnte, fehlt vollständig, der Landbau ist primitiv und extensiv im höchsten Grade, weiteste Strecken sind noch nicht urbar gemacht. Deshalb braucht Palästina eine starke Immigration, damit es der Menschheit und Weltwirtschaft das leiste, was es leisten kann; die Immigration muß zugleich aus einem intelligenten und ökonomisch leistungsfähigen Menschenmaterial bestehen. Ein solches können die Araber heute nicht geben; auch besteht bei den Arabern, deren weites Gebiet überall sehr schwach besiedelt ist und die sich nicht allzu stark vermehren, keine Tendenz und keine Notwendigkeit zu einer Immigration nach Palästina.
Tendenz und Notwendigkeit sind dagegen beim jüdischen Volke vorhanden. Es ist auch imstande, dem Lande die notwendige Intelligenz und ökonomische Kraft zu geben. Dies gibt den Juden zwar nicht das Recht, das Land den Arabern wegzunehmen, wohl aber neben den Arabern auf freiem Lande sich anzusiedeln.“

[Warum die Araber nicht entrechtet werden dürfen …]

„In diesem Augenblicke entsteht das schwere Problem der Form des Zusammenlebens der Araber und Juden. Ich sage schweres Problem, weil selbst viele Leiter der zionistischen Bewegung sich über seine moralische Schwere und ihre Konsequenzen nicht klar bewußt scheinen; so wenn man als die Staatssprache exklusiv Hebräisch einführen will; das kann man in den jüdischen Kolonien oder in der jüdischen Autonomie machen, aber – wenn es einen Staat Palästina geben wird – wird dieser auf unabsehbare Jahrzehnte hinaus zwei Staatssprachen haben müssen: vorläufig Arabisch und Hebräisch, später Hebräisch und Arabisch. Dieser zukünftige Staat wird auf unabsehbare Zeit hinaus kein Nationalstaat sein, sondern ein Nationalitätenstaat; wenn wir uns das nicht mit allem Ernste klarmachen, werden wir stets an dem jüdisch-arabischen Problem leiden.
Wir sind auf ein friedliches und freundliches Einvernehmen mit den Arabern angewiesen. Aus drei Gründen: zwei habe ich schon wiederholt vorgebracht: das Judentum hat als einen seiner Grundpfeiler die Gerechtigkeit erkannt, wir selbst haben unsere Bewegung auf dem Fundament der Gerechtigkeit proklamiert, jede Bedrückung oder Verdrängung der Araber wäre somit etwas, womit wir gegen unsern innersten Lebensnerv handelten, unser eigentliches Wesen zerstörten und damit alle unsere Kraft lähmten. Dann aber mehr noch: jeder Angriff gegen die Gerechtigkeit ist ein Angriff gegen uns selbst. Wir untergraben uns durch ein ,chauvinistisch-imperialistisches‘ Vorgehen, durch ein Benehmen als das ‚Staatsvolk‘ gegen die Araber allen Boden unter den Füßen. Wäre unser ganzes Pathos gegen unsere Unterdrücker nicht lächerlich, wenn wir – nicht mehr unterdrückt, sondern zur Macht gelangt – die Araber zu entrechten oder zu entnationalisieren trachten würden? Dazu kommt ein dritter, rein praktischer Grund. Wir werden immer inmitten einer, uns an Zahl vielfach überlegenen arabischen Bevölkerung leben; im Norden, wie im Osten und Süden leben weithin nur Araber, spricht man arabisch. Eine Feindschaft mit ihnen würde uns in einen ständigen Rüstungs- und Kriegsvorbereitungsstand setzen, sie würde uns aber auch ökonomisch schädigen. Unsere Industrie wird in dem weiten arabischen Hinterlande ein vorzügliches, ja ihr bestes Absatzgebiet haben, hier wird sie durch die Nähe und durch die Kenntnis von Markt und Sitten konkurrenzfähig sein; zugleich winkt ihr hier eine wichtige und Früchte verheißende zivilisatorische Tätigkeit.“

[„Kein Land gehört einem bestimmten Volke“]

„Daß die Araber Palästinas und auch seiner Nebenländer von unserer Immigration vielfachen Vorteil ziehen werden, ist von uns schon oft betont worden. So wird unter den Voraussetzungen, die wir oben genannt haben, ein freundschaftliches Zusammenleben beider Volksstämme im Lande möglich sein. Wir müssen uns nur des nationalen Chauvinismus enthalten, als ob das Land den Juden gehörte. Kein Land gehört einem bestimmten Volke, es gehört den Menschen, die dort leben und friedlich arbeiten – und das werden in Palästina immer nicht nur Juden, sondern auch Araber sein. Darauf müssen alle unsere Staatseinrichtungen Bedacht nehmen, sie müssen beiden Teilen, den Juden und Arabern, weitest gehende Autonomie und Selbstbestimmung geben, um die Reibungsflächen zu verkleinern. Wir werden die schwere, aber nicht unlösbare Aufgabe haben, zwei unterritoriale, unzusammenhängende souveräne Nationalgemeinschaften auf einem gemeinsamen staatlichen Territorium zu gründen, dessen Hoheitsfunktionen sich in der Regulierung gewisser allgemeiner, wirtschaftlicher Fragen erschöpfen. Das nationale Problem würde sonst eine schwere Krankheit unseres Staates werden, an der wir ebenso zugrundegehen könnten, wie manche andere Staaten. Es ist seltsam, daß manche unserer Redner und Legionäre, wenn sie schon die ethische Geschichtsbetrachtung ablehnen, nicht aus der Geschichte und der jüngsten Vergangenheit lernen. Die Juden, die am eigenen Leibe gespürt haben, was es heißt, wenn ein Volk anderen gegenüber sich in einem Lande als das herrschende staatliche Volk fühlt, dürfen und können nicht sich selbst jetzt in Palästina den Arabern als die herrschende Nation, als das Staatsvolk aufspielen. Diese Worte scheinen vor allem an die Juden gerichtet; denn diese sind das Volk, in und an dem wir arbeiten und leben, auch scheint bei uns gerade diese Frage, die Araberfrage, verschwiegen und ungern gesehen zu werden. Aber diese Worte gelten auch den Arabern, gelten jedem Versuch ihrer Intelligenz und ihrer bemittelten Kaste, sich in Palästina für ein herrschendes Staatsvolk auszugeben, Palästina für ‚ihren‘ Boden zu erklären und etwa mit Einwanderungsgesetzen jüdische Immigration beschränken zu wollen. Gegen jeden derartigen Versuch protestieren wir mit ebensolcher Entschiedenheit wie gegen jeden jüdischen Chauvinismus und ‚Eigentümer‘- und ‚Herren‘dünkel.
Welches aber können die Garantien sein dafür, daß ein uns erwünschter Zustand in Palästina eintrete? Hier sehen wir wieder auf das deutlichste, wie in jedem einzelnen Punkte die Judenfrage mit der Menschheitsfrage verknüpft ist, wie die endgültigen Lösungen beider einander bedingen. Keine der Mächte der heutigen Welt, gebaut durch die Gesetze oder den Zufall der Geschichte und aufrechterhalten durch Zwang und Trägheit, kann uns diese Garantien geben. Nur wenn die Masse der Menschen umlernen und ein neuer Geist sie erfüllen wird, wenn der Völkerbund, die freie Vereinigung aller Völker, die Grenzen der Staaten gesprengt haben wird, dann wird – weil gegenstandslos – auch die Herrschsucht und Erwerbsgier der Völker schwinden. Daraus ergibt sich, daß auch von dieser Notwendigkeit getrieben, die besten und einsichtsvollsten Elemente der palästinensischen Judenheit, das große gemeinsame Ziel, die wahre Flagge Zions, nicht vergessen können: die Vervollkommnung der Menschheit, die Auflösung ihrer heutigen Zwangs- und Trägheitsgefüge in durch lebendigen Geist verbundene Gemeinschaften. Dann werden auch auf einem Territorium zwei oder mehrere solcher durch gemeinsame geschichtliche Tradition und gleiche seelische Erlebensart geeinter Gemeinschaften in Frieden nebeneinanderleben und schaffen können.
Das ist das Problem für die Gesamtheit gestellt; daß jeder einzelne, der ernstlich nach Palästina gehen will, seinerseits neben Hebräisch Arabisch lernen und sich mit der Volkskultur des heutigen arabischen Landes bekannt machen muß, sei nur nebenbei erwähnt.“

[Ein „sittlicher Nationalismus“]

„Das arabische Problem ist ein schweres Problem; es wird viel Takt, viel Geschick und viel Ernst erfordern, es gut zu lösen. Vor allem kann es niemals von den Diktatoren der Friedenskonferenz, noch von uns allein gelöst werden, sondern ausschließlich durch ein Übereinkommen beider Völker, des jüdischen und arabischen. Nur damit, daß wir nicht leichtsinnig über das Problem hinwegreden, sondern uns seine Schwere klar gemacht haben und es in seinem vollen sittlichen Ernst und seiner Verantwortungsschwere für uns spüren, haben wir den entscheidenden Schritt zu seiner Lösung getan. Lassen wir uns nicht von nationalistischem Chauvinismus betören; werden wir, die Sklaven von gestern, nicht die Imperialisten von morgen. Der jüdische Nationalismus war stets ein sittlicher Nationalismus; Pflichten und nicht Rechte: Verantwortung vor der Menschheit. Bleiben wir ernst und klar und uns selber treu! Hüten wir uns vor jedem Fetischismus, hüten wir uns vor allem vor dem Fetischismus des nationalen Herrenvolkes! – Irkutsk, Sommer 1919: Hans Kohn“.

(Quelle der zitierten Passagen: Hans Kohn: Zur Araberfrage [I]. In: Der Jude. Eine Monatsschrift. 4. Jahrgang (1919-1920), Heft 12/1919, S. 567-569. - Vgl. auch Hans Kohn: Zur Araberfrage [II]. In: Der Jude. Eine Monatsschrift, 5. Jg. (1920-1921) Heft 12/1920, S. 737-738. = Antwort auf einen Beitrag von Siegmund Kaznelson.)

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„Wo immer du die Spur eines Menschen wahrnimmst …“

Ein Blick auf die nachfolgenden 1920er Jahre

Seit 1921 war Hans Kohn Mitglied der „War Resistersʼ International“. – 1925 wurde in Palästina unter Vorsitz des führenden Zionisten Arthur Ruppin der Brit-Shalom (Friedensbund) gegründet, der sich für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern sowie die Gründung eines binationalen jüdisch-palästinensischen Staates einsetzte. Dem Bund, der allerdings nie mehr als 100 Mitglieder zählte, gehörten auch der in eben jenem Jahr nach Palästina übergesiedelte Hans Kohn sowie Yehoshua Radler-Feldmann (1880-1957) und Robert Weltsch (1891-1982), Redakteur der „Jüdischen Rundschau“, an.

Bald nach Gründung des Brit-Shalom formulierte Hans Kohn folgende Vision über Palästina als Zentrum einer nach Recht und Gerechtigkeit organisierten Völkerwelt:

Geschichtlich und geographisch ist Palästina ein Land des Friedens. […] Dies soll auch in seiner äußeren Stellung zum Ausdruck kommen, es soll ein neutrales Land unter dem Schutz des Völkerbundes werden, eine Stätte nationalen und internationalen Friedens, die durch Geschichte und Lage in naher Zukunft auch der Sitz des Völkerbundes sein sollte. […] Ein im inneren Leben friedliches, prosperierendes und in seiner kulturellen Mehrfältigkeit autonomes Palästina, das, auch nach außen stets neutral, unverletzlich und unbewaffnet, Frieden wahrt und ausstrahlt, kann die erste große Tat des Völkerbundes auf seinem mühsamen Wege zu seiner wahren Form und Aufgabe werden.“ (Zit. nach friedenstheologie.de; 2014)

In seinem Essay „Judentum und Gewalt“ (1928) trug Kohn vor, das Judentum sei gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Abneigung wider den Krieg:

Das Judentum hat den Kampf gekannt, das zähe Ringen um die Schwere der Aufgabe, den Mut, um dieser Aufgabe willen alles zu ertragen, und das Martyrium. Aber es hat den Krieg gehasst, den es seit zwei Jahrtausenden nicht mehr geführt hat, den organisierten Mord, wie jede Gewalttat überhaupt. Jeder Jude trägt in seinem Blute eine instinktive und bis zur Heftigkeit gesteigerte Abneigung gegen rohe Gewalt, Mord und Krieg. Der Heroismus des Krieges, der sportliche Geist des Wettbewerbes sind ihm unverständlich. In talmudischer Zeit wird diese Erkenntnis von der Einheit und Gleichheit des Menschengeschlechtes, von der Würde und Größe jedes einzelnen Menschen immer wieder betont. ‚Wo immer du die Spur eines Menschen wahrnimmst, dort steht Gott vor dir‘.

Im Jahr 1929 sah Hans Kohn aufgrund der leidvollen Erfahrungen vor Ort – d. h. der frühen Gewalt-Eskalationen (1921/1929) – für seine zionistische Palästina-Vision keine Aussicht auf Erfüllung mehr; 1934 wanderte er zusammen mit seiner Frau in die Vereinigten Staaten von Amerika aus.

Empfohlene Literatur über Hans Kohn und den friedensbewegten Zionismus:

Dieter Riesenberger: Hans Kohn (1891-1971) — Zionist und Pazifist. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 41. Jahrgang, Heft 2 (1989), S. 166-174. https://www.jstor.org/stable/23893760

Romy Langeheine: Von Prag nach New York. Hans Kohn. Eine intellektuelle Biographie. Göttingen: Wallenstein 2014.

Peter Bürger: Judentum und Pazifismus. Eine Spurenlese gegen den Strich – zugleich ein Beitrag zum jüdisch-christlichen Dialog unter friedensbewegtem Vorzeichen. In: Telepolis, 02.08.2014. https://www.telepolis.de/features/Judentum-und-Pazifismus-3366622.html?seite=all

Christian Wiese: Martin Buber, der Prager Kreis und die Folgen des Ersten Weltkriegs. In: compass-infodienst: Online-Extra Nr. 285, April 2019. https://www.compass-infodienst.de/Christian-Wiese-Martin-Buber-der-Prager-Kreis-und-die-Folgen-des-Ersten-Weltkr.17214.0.html