Mit Änderungen & Ergänzungen übernommen aus:
Portal des Internationalen Versöhnungsbundes (August 2025)
„Unsere Meister lehrten: Man versorge die Armen aus den Völkern
mitsamt den Armen Israels, und man besuche die Kranken derer
aus den Völkern mitsamt den Kranken Israels, und man begrabe
die Toten derer aus den Völkern mitsamt den Toten Israels,
des Friedens wegen.“ (Talmud, Gittin 61 a)
Es kam nämlich einer vor Rawa und sagte zu ihm: „Der Befehlshaber
meines Wohnortes hat zu mir gesagt: Geh und töte den Soundso!
Wenn aber nicht, so töte ich dich.“ Rawa sagte zu ihm: „Sie mögen dich
töten, du aber töte nicht! Wie kommst du zu der Ansicht, daß dein Blut
röter sei? Vielleicht ist jenes Mannes Blut röter.“ (Talmud, Pesachim 25b)
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Zunächst rund 80 konservative und orthodoxe Rabbiner aus verschiedenen Ländern fordern seit dem 20. August 2025 die israelische Regierung auf, der Hungersnot in Gaza sowie der Gewalt auch im Westjordanland ein Ende zu bereiten. Diese Rabbiner, die sich selbst als treueste Unterstützer Israels bezeichnen, sprechen nunmehr so, wie es die Organisation „Rabbis for Human Rights“ (https://www.rhr.org.il/eng) schon seit Jahren tut:
„Dieser Moment erfordert eine andere Stimme – eine Stimme, die in unseren tiefsten jüdischen Werten verwurzelt ist und von unserer traumatischen Geschichte als Opfer von Verfolgung bestimmt wird.“ (20.08.2025)
Vier Oberrabbiner haben unterschrieben: Rabbi Michael Schudrich (Polen), Rabbi Michael Melchior (Norwegen), Rabbi Jair Melchior (Dänemark) und Rabbi David Rosen (ehemaliger Oberrabbiner von Irland). Zu den Unterzeichnenden gehört laut Berichterstattung auch der Dresdner Rabbiner Akiva Weingarten.
(Inzwischen hat der israelische Historiker Yuval Noah Harari angesichts der humanitären Katastrophe in Gaza von der größten [spirituellen] Krise des Judentums seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 der – christlichen – Zeitrechnung gesprochen. Vergleiche zu dieser traurigen Entwicklung auch einen neueren Overton-Beitrag aus der Redaktion dieser Schalom-Bibliothek. –
Über die Instrumentalisierung der Religion für massenmediale Vernichtungs- und Genozidaufrufe in einem äußerst einflussreichen israelischen TV-Sender informiert ein aktuelles Dossier von Hanno Hauenstein für das Magazin „Der Freitag“. ǀ Die „religiösen“ Gewalt-Propagandisten sprechen – je nachdem, auf welcher Konfliktseite sie stehen – den jüdischen oder den palästinensischen Menschengeschwistern ohne Scham das Menschsein ab und stellen so – aus theologischer Sicht einer überzeugenden abrahamischen Ökumene beurteilt – ihre Gottlosigkeit unter Beweis. pb)
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„Aufruf zu moralischer Klarheit, Verantwortung und einer jüdisch-orthodoxen Antwort angesichts der humanitären Krise im Gazastreifen“
Erklärung der Rabbiner vom 20.08.2025
(Übersetzt mit Hilfe von deepL.com)
Die humanitäre Krise im Gazastreifen ist eine der schwersten in der jüngeren Geschichte. Sie begann zwar mit dem schrecklichen Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 – einer brutalen Tat, die zu Recht eine starke militärische Reaktion und die Forderung nach Freilassung der Geiseln nach sich zog –, doch entbindet dies die israelische Regierung nicht von ihrer Mitverantwortung für das tiefe Leid der Zivilbevölkerung in Gaza.
Die Hamas hat durch ihr Vorgehen wiederholt gezeigt, dass sie das Leben der Menschen, die sie angeblich vertritt, zynisch missachtet, indem sie Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt und Waffenstillstandsvorschläge ablehnt. Jedoch hat die nun schon fast zwei Jahre andauernde Militäraktion Israels Gaza verwüstet. Die Zahl der Todesopfer steigt, und Israels Einschränkung der humanitären Hilfe, die zeitweise sogar die Einfuhr von Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern vollständig unterbindet, lässt das Schreckgespenst einer Hungersnot aufkommen.
Wir bekräftigen, dass die Sünden und Verbrechen der Hamas die israelische Regierung nicht von ihrer Verpflichtung entbinden, alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um eine Massenhungersnot zu verhindern. Es gab Monate, in denen Israel humanitäre Konvois unter der falschen Annahme blockierte, dass zunehmendes Leid die Hamas zur Kapitulation zwingen würde. Stattdessen hat sich die Verzweiflung weiter verschärft. Die berechtigte Wut auf die Hamas hat sich durch einige Extremisten gefährlich zu einem pauschalen Verdacht gegenüber der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens – einschließlich der Kinder – ausgeweitet, die als zukünftige Terroristen gebrandmarkt werden.
Unterdessen hat die Gewalt extremistischer Siedler in Yehuda und Shomron (Westjordanland) dazu geführt, dass durch die Ermordung von Zivilisten und die Vertreibung palästinensischer Dorfbewohner aus ihren Häusern die Region weiter destabilisiert wurde.
Inmitten dieser Verwüstung hat das Fehlen einer klaren Nachkriegsvision von Premierminister Netanjahu es den extremsten Stimmen in der israelischen Regierung – darunter Minister aus der religiös-zionistischen Gemeinschaft – ermöglicht, das Vakuum mit verstörenden Vorschlägen zu füllen. Dazu gehören das erzwungene „freiwillige“ Exil der Palästinenser aus dem Gazastreifen und die Opferung der verbleibenden israelischen Geiseln im Streben nach einem schwer fassbaren „vollständigen Sieg“.
Dieser Moment erfordert eine andere Stimme – eine Stimme, die in unseren tiefsten jüdischen Werten verwurzelt ist und von unserer traumatischen Geschichte als Opfer von Verfolgung bestimmt wird. Das orthodoxe Judentum trägt als einer der treuesten Unterstützer Israels eine einzigartige moralische Verantwortung. Wir müssen bekräftigen, dass die jüdische Vision von Gerechtigkeit und Mitgefühl sich auf alle Menschen erstreckt.
Unsere Tradition lehrt uns, dass jeder Mensch b’tzelem Elokim – nach dem Ebenbild Gottes – geschaffen ist. Wir sind die spirituellen Nachkommen Abrahams, auserwählt, auf dem Weg Hashems zu wandeln, „Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (Bereshit 18:19). Ein ganzes Volk hungern zu lassen, steht in krassem Gegensatz zu dieser Lehre. Wenn wir über Tisha B’Av nachdenken, klingen die Worte unserer Propheten mit neuer Dringlichkeit. Die Haftara von Schabbat Chazon erinnert uns: „Zion wird durch Recht erlöst / und die zu ihr umkehren durch Gerechtigkeit.“ (Jeschaja 1:27). Und am Morgen von Tisha B’Av hallt die Stimme Jeremias in unseren Gebeten wider: „Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, (…) wer sich rühmen will, rühme sich dessen, / dass er Einsicht hat und mich erkennt, nämlich dass er weiß: Ich, der HERR, bin es, / der auf der Erde Gnade, Recht und Gerechtigkeit wirkt. Denn an solchen Menschen habe ich Gefallen – / Spruch des HERRN.“ (Jeremia 9:23)
Dies sind nicht nur poetische Formulierungen, sondern dies ist die Grundlage unserer ethischen Verpflichtung, eine Politik zu fordern, die die Menschenwürde wahrt, die humanitäre Hilfe leistet, wo immer dies möglich ist und um unsere Stimme zu erheben, wenn die Handlungen unserer Regierung den moralischen Geboten der Tora widersprechen, egal wie schmerzhaft es auch sein mag, dies zu akzeptieren.
Die Zukunft Israels hängt nicht nur von seiner militärischen Stärke ab, sondern auch von seiner moralischen Klarheit. Lasst uns lautstark für Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Frieden für alle Menschen eintreten – auch und gerade in den schwierigsten Zeiten.
Der Originaltext nach der Fassung des Zenit-Portal,
dort auch Namen von Unterzeichnenden:
Rabbi Yosef Blau
Rabbi David Bigman
Chief Rabbi Michael Schudrich
Chief Rabbi Michael Melchior
Chief Rabbi Jair Melchior
Rabbi Joav Melchior Chief
Rabbi David Rosen (former CR)
Rabbi Dr. Shmuly Yanklowitz
Rabbi Dr. Yitz Greenberg
Rabbi Hyim Shafner
Rabbi Daniel Landes
Rabbi Herzl Hefter
Rabbi Shua Mermelstein
Rabbi Yoni Zolty
Rabbanit Mindy Schwartz Zolty
Rabbi Frederick L Klein
Rabbi Yosef Kanefsky
Rabbi Michael Whitman
Rabbi Dr. Jeremiah Unterman
Rabbi Barry Dolinger
Rabbi David Silber
Rabbi Yonatan Neril
Rabbi Ysoscher Katz
Rabbi Isaac Landes
Rabbi David Polsky
Rabbi Baruch Plotkin
Rabbi Mikey Stein
Rabbi Elliot Kaplowitz
Rabbi Ariel Goldberg
Rabbi Ben Birkeland
Rabbi Ralph Genende
Rabbi David Glicksman
Rabbi Dr. Donniel Hartman
Rabbi Dr. Martin Lockshin
Rabbi Dr. Pinchas Giller
Rabbi Avidan Freedman
Rabbi Daniel Raphael Silverstein
Rabbi Dr. Shalom Schlagman
Rabbi Dr. Daniel Ross Goodman
Rabbi Aaron Levy
Rabbi Chaim Seidler-Feller
Rabbi Dr. Mel Gottlieb
Rabbi Dr. Joshua Feigelson
Rabbi Jonah Winer
Rabbi Dr. Michael Chernick
Rabbi Dr. Eugene Korn
Rabbi Hanan Schlesinger
Rabbi Elhanan Miller
Rabbi Joel Hecker
Rabbi Michael Gordan
R. Sofia Freudenstein
Rabbi David Levin-Kruss
Rabbanit Myriam Ackermann-Sommer
Rabba Ramie Smith R. Shayna Abramson
Rabbi Zachary Truboff
Rabbi David A. Schwartz
Rabbi David Jaffe
Rabbi Steve Greenberg
Rabbi Gabriel Kretzmer Seed
Rabbanit Rachel Keren
Rabbi Benyamin Vineburg
Rabba Dr. Lindsey Taylor-Guthartz
Rabbanit Leah Sarna
Rabbi Dr. Wendy Zierler
Rabbanit Sarah Segal-Katz
Rabbi Shimon Brand
Rabba Melissa Scholten-Gutierrez
R. Emily Goldberg Winer
R. Dr. Erin Leib Smokler
Rabba Adina Roth
R. Dr. Meesh Hammer-Kossoy
Rabbi Drew Kaplan
Rabbi Dina Najman
Rabbi Emile Ackermann
Rabbi Daniel Geretz
Rabbanit Sarah Segal-Katz
Rabbanit Tali Schaum Broder
Rabbi Max Davis
Rabbi Tyson Herberger
Rabba Aliza Libman Baronofsky.
Englischer Originaltext:
A Call for Moral Clarity, Responsibility, and a Jewish Orthodox Response in the Face of the Gaza Humanitarian Crisis
The humanitarian crisis unfolding in Gaza is one of the most severe in recent history. While it began with the horrific terrorist attack by Hamas on Israel on October 7, 2023 – a brutal act that justifiably demanded a strong military response and demand for the release of the hostages – his does not absolve Israel’s government from assuming its share of the responsibility for the profound suffering of Gaza’s civilian population.
Hamas’s actions have repeatedly shown a cynical disregard for the lives of the people it claims to represent, using civilians as human shields and rejecting ceasefire proposals. However, Israel’s prolonged military campaign, now approaching two years, has devastated Gaza. The death toll is rising with very significant losses of lives, and Israel’s limiting of humanitarian aid, at times completely halting the entry of food and medical supplies, has raised the specter of coming starvation. We affirm that Hamas’s sins and crimes do not relieve the government of Israel of its obligations to make whatever efforts are necessary to prevent mass starvation.
There have been months when Israel blocked humanitarian convoys on the mistaken premise that increased suffering would bring about Hamas’s surrender. Instead, the result has been the deepening of despair. The justified anger toward Hamas has dangerously expanded by some extremists into blanket suspicion of the entire population of Gaza – children included – tarnished as future terrorists. Meanwhile, in Yehuda and Shomron (the West Bank), extremist settler violence has resulted in the murder of civilians and has forced Palestinian villagers from their homes, further destabilizing the region.
Amid this devastation, the absence of a clear post-war vision from Prime Minister Netanyahu has allowed the most extreme voices in the Israeli government – including ministers from the religious Zionist community – to fill the vacuum with disturbing proposals.
These include the forced “voluntary” exile of Palestinians from Gaza and the sacrifice of remaining Israeli hostages in the pursuit of an elusive “total victory.”
This moment demands a different voice – one grounded in our deepest Jewish values and informed by our traumatic history of being victims of persecution.
Orthodox Jewry, as some of Israel’s most devoted supporters, bears a unique moral responsibility. We must affirm that Judaism’s vision of justice and compassion extends to all human beings. Our tradition teaches that every person is created b’tzelem Elokim – in the Divine image. We are the spiritual descendants of Avraham, chosen to walk in the path of Hashem, “to do righteousness and justice” (Bereshit 18:19). Allowing an entire people to starve stands in stark contrast to this teaching.
As we reflect on Tisha B’Av, the words of our prophets ring with renewed urgency. The Haftorah of Shabbat Chazon reminds us: “Zion shall be redeemed through justice, and those who return to her through righteousness” (Yeshayahu 1:27). And on the morning of Tisha B’Av, the voice of Yirmiyahu echoes through our prayers: “Let not the wise glory in their wisdom… but in this: that they understand and know Me, that I am the Lord who practices kindness, justice, and righteousness on the earth – for in these I delight” (Yirmiyahu 9:23).
These are not just poetic phrases. They are the foundations of our ethical obligation—to demand policies that uphold human dignity, to provide humanitarian aid wherever possible, and to speak out when our government’s actions contradict the Torah’s moral imperatives, no matter how painful this may be to accept.
The future of Israel depends not only on its military strength but on its moral clarity. Let us be resounding voices for justice, righteousness, and peace for all people – even and especially in the hardest of times.
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Abbildung oben:
Orthodoxe Juden in Jerusalem,
Aufnahme: Benjamín Núñez González, 25.08.2017
(https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jud%C3%ADos_ortodoxos_en_Jerusal%C3%A9n,_Israel,_2017.jpg?uselang=de)
Vorangestellte Talmudzitate hier nach:
https://friedenstheologie.de/judische-friedenstheologie/